Trauma, PTBS & kPTBS
Einfach erklärt
Wenn mich jemand fragen würde, was ein Trauma ist, würde ich vielleicht mit einem Auszug aus einem Gedicht von mir antworten:
Trauma ist die düstere Hintergrundmusik mein Begleiter,
Von Morgen bis Abend, ein unendlicher Reiter.
Sie murmelt leise, doch stets präsent im Geist,
Ein Schatten, der niemals von der Seite weicht.
Denn, um es mit den Worten einer Leidensgenossin zu sagen: „Die Täter:innen kommen meistens davon, aber wir haben lebenslang!“
Ein traumatisches Ereignis gemäß ICD 10 stellt „ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes (kurz oder lang anhaltend), das fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde" (ICD 10, F43.1), dar.
Gottfried Fischer und Peter Riedesser definierten Trauma 2009 als ein „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“ (Fischer/Riedesser 2009, S. 84; zitiert nach Zillig 2018, S. 833).
Traumata lassen sich unter anderem folgendermaßen kategorisieren:
Es gibt in Folge einer einmaligen traumatischen Situation das Monotrauma und das Polytrauma in Folge von mehrmaligen traumatischen Situationen.
Außerdem können mittelbar oder unmittelbare Betroffene, Angehörige oder Helfer:innen ein Trauma erfahren.
Zudem wird zwischen man-made Traumata (Trauma, das ein Mensch einem anderen Mensch zufügt) und nature made Traumata (z.B. Umweltkatstrophen) unterschieden.
Darüber hinaus ist das Täter:innen-Betroffenen Verhältnis zu berücksichtigen: Je näher das Verhältnis von der betroffenen Person zu dem:der Täter:in ist, desto traumatischer kann es sein. Beispielsweise kann sexualisierte Gewalt in der Familie erschütternder sein, als sexualisierte Gewalt durch eine:n fremde:n Täter:in.
Akute Traumafolgen, im Sinne einer akuten Belastungsreaktion, können sein:
Gefühle von Hoffnungslosigkeit, ungerechtfertigte Schuld- und Schamgefühle, Ekel, Beschmutzung, Entwürdigung, Wut, oder aber emotionale Taubheit oder/und emotionale Flashbacks (plötzlich auftretende Gefühle, in Form eines Wiedererlebens der Gefühle während der Tat). Mit der Hoffnungslosigkeit einhergehen kann Resignation.
subtile Verhaltensänderungen (z.B.: Verstummen und/oder sozialer Rückzug)
Schlafstörungen
Misstrauen
Suizidintentionen und Suizidhandlungen, sowie weitere selbstschädigende und risikobehaftete Verhaltensweisen, aber auch Wut und aggressive und unkooperativen Haltungen anderen Personen gegenüber
Probleme in der Sexualität
somatoforme Beschwerden (also körperliche Beschwerden, für die keine organische Ursache gefunden werden konnte)
Vermeidung von Dingen, die an die Tat erinnern (zum Beispiel Vermeidung von Orten, Gedanken oder Tätigkeiten)
Wiedererleben, im Sinne von: „sich aufdrängende belastende Erinnerungen an das Ereignis“ (Müller-Pfeiffer 2018, S. 118), Flashbacks (plötzliche Erinnerungen, das Gefühl, als würde die Tat in der Gegenwart erneut passieren), Intrusionen (unkontrollierbare, belastende Erinnerungen, Gedanken oder Flashbacks, bei denen Betroffene traumatische Ereignisse wieder erleben, als würden sie sich in der Gegenwart abspielen), Albträume, etc.. Das Wiedererleben wird meist durch Trigger (eigentlich alltägliche Dinge, die jedoch bei Betroffenen mit der oder den sexualisierten Gewalterfahrung(en) im engen Zusammenhang stehen)ausgelöst.
Übererregung (genannt Hyperarousal) zeigt sich durch Anspannung, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Wut, ständiges Auf-der-Hut-Sein, Unruhe und/oder Konzentrationsschwierigkeiten
hohe Komorbiditäten zu anderen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen, Borderline oder Essstörungen
Selbstzweifel (vgl. ebd., S. 118ff.; vgl. Schlumpf/Jäncke 2018, S. 107ff.; Tschan 2024, S. 27ff.; NgK o.J., S. 4f.)
Dissoziationen sind ein Zustand, in dem das Bewusstsein, die Wahrnehmung, das Gedächtnis oder die Identität zeitweise oder dauerhaft fragmentiert ist. Dies bedeutet, dass bestimmte Erlebnisse, Gedanken, Emotionen oder Erinnerungen voneinander getrennt werden und nicht mehr als zusammenhängend wahrgenommen werden (vgl. ICD 10, F44-). In Form von:
Dissoziativer Amnesie (Erinnerungslücken für traumatische Ereignisse)
Dissoziativer Fugue (Person vergisst oftmals ihre Identität und Vergangenheit und reist an einen anderen Ort, ohne sich später daran erinnern zu können)
Dissoziativem Stupor (völlige Bewegungslosigkeit und Erstarren)
Dissoziativen Bewegungsstörungen (Person verliert Fähigkeit bestimmte Bewegungen bewusst auszuführen, es kommt zum Beispiel zu Lähmungen, Zittern oder Gangstörungen)
Dissoziativen Krampfanfällen (unwillkürliche, epilepsieähnliche Anfälle ohne neurologische Ursachen)
Dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen (Betroffene verlieren sensorische Funktionen (z. B. Schmerzempfinden, Berührungssinn) oder motorische Fähigkeiten))
(vgl. ebd., F44.0 – F44.6)
Depersonalisation (Gefühl der Entfremdung vom eigenen Körper oder von sich selbst)
Derealisation (Gefühl, dass die Umgebung unwirklich oder wie ein Traum erscheint)
Desomatisation (der Körper wird weniger bewusst wahrgenommen)
Detemporalisation (verzerrte Wahrnehmung von der Zeit)
(vgl. ebd., F48.51)
In Extremfällen kann die sogenannte Dissoziative Identitätsstörung (kurz: DIS), früher auch Multiple Persönlichkeitsstörung genannt, entstehen, was bedeutet, dass zwei oder mehr Identitäten oder Persönlichkeitszustände, die abwechselnd die Kontrolle über das Verhalten übernehmen, vorhanden sind (vgl. ICD 10, F44.81).
Halten die oben aufgeführten Symptome länger als vier Wochen an, so spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Diese wird häufig zur Diagnostik in folgende Symptomgruppen gegliedert: Wiedererleben (Intrusionen und Flashbacks), Vermeidungsverhalten, Übererregung, Numbing (entspricht im Deutschen: emotionaler Taubheit) oder Pessimismus & Depression (vgl. ebd., F43.1).
An dieser Stelle möchte ich nochmal zwischen Monotraumatisierung und komplexer Traumatisierung unterscheiden. Monotraumatisierungen treten bei einmaligen traumatisierenden Ereignissen auf, wohingegen komplexe Traumatisierungen vor allem bei wiederholten Gewalterfahrungen in der Kindheit entstehen (vgl. Zillig 2018, S. 833f.). Der Unterschied liegt darin, dass bei „Komplexe[n] Traumatisierungen […] das Selbst- und Weltverständnis von Betroffenen nicht […] nur grundlegend erschüttert [wird] vielmehr wird die Entwicklung eines stabilen Selbst- und Weltverständnisses erst gar nicht ermöglicht“ (ebd., S. 834). Hinzu kommen oft gravierende Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen (vgl. ebd.). Die Diagnose könnte folglich die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (kurz: kPTBS) sein.
Quellen:
ICD 10
Müller-Pfeiffer, Christoph 2018: Opfer: Psychische ReakƟonen nach sexueller Gewalt. In: Gysi, Jan/Rüegger, Peter (Hrsg.): Handbuch sexualisierte Gewalt. Therapie, PrävenƟon und Strafverfolgung, Bern: Hogrefe Verlag, S. 117-123.
Nummer gegen Kummer o.J.: HintergrundinformaƟon „Sexualisierte Gewalt“, Wuppertal.
Schlumpf, Yolanda/Jäncke 2018: Opfer: Körperliche ReakƟonen nach sexueller Gewalt. In: Gysi, Jan/Rüegger, Peter (Hrsg.): Handbuch sexualisierte Gewalt. Therapie, PrävenƟon und Strafverfolgung, Bern: Hogrefe Verlag, S. 107-116.
Tschan, Werner 2024: Sexualisierte Gewalt und Trauma. Praxishandbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern: Hogrefe Verlag.
Zillig, Ute 2018: Trauma, sexualisierte Gewalt und pädagogische Praxis. In: Retkowski, Alexandra/Treibel, Angelika/Tuider, Elisabeth (Hrsg.): Handbuch. Sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte, Weinheim: Beltz Juventa, S. 832-840.